Niél blinzelt in die Sonne. „Das ist wirklich geil hier oben, niemand hat so eine gute Aussicht wie wir!“ Die 29-Jährige nimmt die Majoran-Pflanze aus dem Topf und setzt sie in die Erde. „Das hier wird ein schöner Garten über den Dächern der Stadt.“
Niél Braun ist Dachdeckermeisterin. Eigentlich. Heute gärtnert sie und bepflanzt mit ihrem Team das Dach des Rathauses in Eschweiler in der Nähe von Aachen. „Unser Job ist ganz schön vielfältig geworden: Wir gestalten Gründächer, um die Menschen vor der Hitze zu schützen.“ Sonnenschein und 30 Grad Celsius treiben gerade Menschen in der Stadt schnell den Schweiß auf die Stirn: Gebäude und Straßen speichern die Wärme. Auf einem herkömmlichen Flachdach mit Dachpappe kann das Thermometer sogar auf 60 Grad klettern. Beim Gründach sind es nur 34 Grad, sagt die Verbraucherzentrale NRW. Der Dachgarten wird so zur natürlichen Klimaanlage. Bundesweit umfasst diese schon 170 Quadratkilometer, das ist größer als Bonn und Siegburg zusammen. Jährlich kommen zehn Quadratkilometer dazu.



Und Strom erzeugen kann man auch auf dem Dach: „Hier oben entstehen richtige kleine Kraftwerke“, sagt Niél. „Die Menschen können sich mit einer Photovoltaik-Anlage etwas dazu verdienen.“ Wer nicht selbst investieren will, kann seine Dachfläche auch an einen PV-Anbieter verpachten.
Das Bedachungs-Business erfindet sich gerade neu. Die modernen Betriebe können viel mehr als Ziegel verlegen, von denen das Wasser in die Regenrinne fließt. Das rund zehnköpfige Team arbeitet digital mit Drohnen und Tablets, saniert ganze Fassaden, senkt durch eine neue Dämmung die Heizkosten. Wer sein Hausdach modernisiert, kann tausend Euro im Jahr und mehr sparen, rechnen die Profis von der Verbraucherzentrale vor.
An der Spitze des Familienbetriebs steht Niél, die vor fünf Jahren die Nachfolge ihres Vaters angetreten hat: „Auf dem Dach schlummern riesige Chancen“, sagt sie. Auch für mehr Frauen-Power im Handwerk.
Als Niél ihren Meister machte, war sie die einzige Frau in der Klasse. Gerade mal drei Prozent aller Nachwuchskräfte, die zuletzt ihre Abschluss-Prüfung im NRW-Dachdeckerhandwerk bestanden haben, sind Frauen. Da ist noch Luft nach oben.
Chefinnen wie Niél können Vorbilder für junge Frauen sein, die diesen Job gar nicht auf dem Schirm haben. „Wir haben einen wirklich tollen Job – und Spaß haben wir auch“, sagt sie und spielt in der Pause Frisbee mit dem Team. Um junge Menschen für die Dach-Arbeit zu begeistern, hat sie bei einem Image-Video des Handwerks mitgemacht. Andere Meisterinnen teilen ihre Bilder auf Social Media mit zehntausenden Fans, die so die Arbeit auf dem Dach kennenlernen können. „Wir haben sichere Arbeitsplätze und gute Aussichten“, sagt Niél und lächelt. „Wo wir sind, ist oben.“
Meisterinnen und Meister, die eine Existenz gründen, können bis zu 11.500 Euro Unterstützung vom Land NRW bekommen. Zusätzlich gibt es 2.000 Euro bei Übernahme eines bestehenden Betriebs. Weitere 2.500 Euro können Handwerksmeisterinnen erhalten, wenn sie in Berufen gründen, in denen Frauen stark unterrepräsentiert sind. Das gilt zum Beispiel für Dachdeckerinnen, Installateurinnen und Maurerinnen. Wie es geht, steht hier.